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Zusammenfassung

  1. das Vermögen des Menschen vor dem Fall
    1. Verstand: der dem Menschen gegeben ist, kann zwischen gut und böse, recht und unrecht entscheiden, was getan von dem was vermieden werden soll.
    2. Wille: der Sitz der Wählens
  2. daher, der Mensch (vor dem Fall) hatte das Vermögen, wenn er es wünschte, ewiges Leben zu erlangen; jedoch wurde ihm nicht die Standhaftigkeit gegeben, nicht abzufallen
  3. dies verändert sich beim Fall Adams: der Mensch war sehr verschieden bei der Schöpfung verglichen mit seinen Nachkommen, welche, da sie von ihm geboren wurden, in einen verdorbenen Zustand verfielen.
  4. die Systeme der Philosophen versagen, weil sie den Fall Adams ausschliessen

Text

So hat also Gott die Menschenseele mit dem Verstande ausgerüstet, durch den der Mensch Gut und Böse, Recht und Unrecht voneinander unterscheiden und im Voraufleuchten des Lichts der Vernunft sehen soll, wem er nachjagen und vor was er fliehen muß. Deshalb haben die Philosophen dieses Vermögen auch „führend“ (to hegemonikόn) genannt. Dazu hat er den Willen gefügt, dem die Entscheidung ob­liegt. Mit diesen herrlichen Gaben war der ursprüngliche Zustand (prima conditio) des Menschen geschmückt, so daß ihm Vernunft, Verstand, Klugheit und Urteilskraft (iudicium) nicht nur zur Führung des irdischen Lebens hinreichten, sondern ihn auch zu Gott und der ewigen Seligkeit emporhoben. Dazu kam dann die Wählkraft (electio), die die Begehrungen lenkte und alle sinnlichen Regungen beherrschte, so daß also der Wille in voller Übereinstimmung mit der Leitung des Verstandes war.

In dieser ursprünglichen Reinheit war der Mensch im Besitz des freien Willens, so daß er das ewige Leben erlangen konnte, wenn er wollte. An dieser Stelle die Frage nach der verborgenen Prädestination Gottes zu stellen, wäre voreilig; denn es handelt sich hier nicht darum, was geschehen konnte und was nicht, sondern wie die Natur des Menschen tatsächlich beschaffen war. Adam konnte also in seiner ur­sprünglichen Unschuld bestehen, wenn er wollte; denn er fiel ja nur durch seinen eigenen Willen. Da allerdings sein Wille in jeder Richtung sich neigen konnte und ihm die Beständigkeit zur Beharrung nicht gegeben war, deshalb fiel er so leicht. Trotz­dem, seine Entscheidung über Gut und Böse war frei, und nicht nur dies: in Ver­stand und Willen herrschte vollkommene Rechtschaffenheit, und alle sinnlichen Fähig­keiten waren fein zum Dienst eingerichtet — bis er sich selber verdarb und darüber seine Vorzüge verlor.

Daher aber kommt nun diese große Finsternis, die die Philosophen umgibt: sie suchen unter Trümmern das Gebäude und unter der Zerrüttung die passenden Fu­gen! Als Grundsatz hielten sie fest, der Mensch sei kein vernünftiges Wesen, wenn er nicht die freie Entscheidung zwischen Gut und Böse hätte, auch kam ihnen in den Sinn, der Unterschied zwischen Tugend und Laster werde hinfällig, wenn der Mensch sein Leben nicht nach eigener Bestimmung ordne. Bis dahin war alles richtig — wäre nur im Menschen keine Veränderung eingetreten! Diese aber kannten sie nicht — und so ist es kein Wunder, daß sie Himmel und Erde durcheinanderwarfen! Wer sich aber als Jünger Christi bekannt hat und trotzdem bei dem verlorenen und dem geistlichen Elend verfallenen Menschen noch den freien Willen sucht, auf diese Weise also zwischen der Meinung der Philosophen und der himmlischen Lehre sich teilt, der geht ganz in der Irre und verfehlt den Himmel und die Erde! Aber darüber findet sich an geeigneterer Stelle Besseres. Jetzt muß nur dies festgehalten werden: der Mensch ist in seiner Erschaffung, am Anfang, etwas völlig anderes gewesen als alle seine Nachfahren; denn sie haben ihren Ursprung im gefallenen Menschen und ha­ben von ihm die Verderbnis zum Erbe empfangen. Denn es waren ja alle Anla­gen der Seele recht geschaffen, die Gesundheit der Seele bestand, dazu ein Wille, der frei war, das Gute zu erwählen! (Augustin, Über die Genesis, II,7). Es könnte freilich jemand einwenden, der Wille sei wegen seiner Schwäche sozusagen auf das Schlüpfrige gesetzt worden. Aber seine Stellung (in der ursprünglichen Reinheit) genügt doch schon allein, alle Entschuldigung zu beheben; auch konnte doch Gott nicht das Gesetz aufgezwungen werden, einen Menschen zu schaffen, der überhaupt nicht sündigen konnte noch wollte. Gewiß wäre ein solches Wesen noch vortrefflicher gewesen; aber es wäre doch mehr als ungerecht, über dergleichen mit Gott zu rech­ten, als ob er es dem Menschen hätte gewähren müssen; denn es stand in seinem freien Ermessen, ihm zu geben, wieviel er wollte. Warum er ihn aber nicht mit der Kraft der Beharrlichkeit (perseverantiae virtute) unterstützt hat, das ist in seinem Ratschluß verborgen — unsere Aufgabe ist, in Nüchternheit klug zu sein! Der Mensch besaß eben das Können, wenn er wollte, aber nicht das Wollen, um zu können — denn solchem Wollen wäre die Beharrlichkeit gefolgt (Augustin, Von Züchtigung und Gnade, 11,32). Entschuldbar ist er trotzdem nicht; denn er hatte so­viel empfangen, daß er sich das Verderben aus freien Stücken zuzog. Aber für Gott gab es kein Gesetz, ihm einen anderen als solchen in der Mitte stehenden, wan­delbaren Willen zu geben; er wollte selbst aus seinem Fall einen Anlaß nehmen, seine Herrlichkeit zu erzeigen.

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This entry was posted on Freitag, Januar 22nd, 2010 at 01:00 and is filed under Buch 1, Buch 1 Kapitel 15, Institutio. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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