Brief an Farel, Basel, 20. August 1538

Calvin, Jean 1)

[…] Ich wollte, ich könnte hier schließen und Du brauchtest von mir die folgende traurige Nachricht nicht zu hören. Aber Du hast ja selbst gelernt, Dich der göttlichen Vorsehung willig zu unterwerfen und lehrst es andere; und so will ich Dir doch ohne Zögern mitteilen, was der Herr Dir getan hat: Deinen Neffen hat am vergangenen Sonnabend die Pest befallen. Sein Begleiter und ein Goldschmied, der in Lyon für Christi Evangelium Zeugnis abgelegt hat, haben es mich sofort wissen lassen. Weil ich gerade zur Linderung meines Kopfschmerzes Pillen genommen hatte, konnte ich nicht sogleich selbst zu ihm gehen. Aber alles, was zu seiner Pflege nötig war, ist alsbald sorgsam und treu beschafft worden. Grynäus2) hat ihn oft besucht, ebenso ich selbst, sobald es mir meine Gesundheit erlaubte. Als da Tailly3) sah, dass ich die Gefahr nicht scheute, wollte er sie mit mir teilen. Gestern waren wir lange bei ihm, und da sich schon die sicheren Anzeichen des Todes einstellten, habe ich mehr um Trost für seine Seele als um Mittel für den Körper Sorge getragen. Er war schon ein Weilchen ohne Besinnung, konnte mich dann aber noch an sein Bett rufen und auffordern, für ihn zu beten. Er hatte nämlich eine Predigt von mir über den Nutzen des Gebetes gehört. Heute Morgen, um die vierte Stunde, trat seine Seele den Weg zum Herrn an. Über seinen Genossen, der von derselben Krankheit befallen ist, lässt sich noch nichts Sicheres sagen. Morgen hoffe ich, ihn wieder besuchen zu können. Den trefflichen Goldschmied hat sein Meister aus Furcht vor Ansteckung entlassen. Ich habe ihn mit einer Empfehlung nach Straßburg geschickt; vielleicht findet sich dort eine Stellung für ihn.

Religionskundliche Quellenhefte Herausgegeben von Prof. D.H. Hietzmann und Ob.-St.-Dir. Dr. R. Weidel Heft II Calvin Von Lic. Hanns Rückert


1) C. R. 38b; Op. Calv. 10b, 336f., Epist. Nr. 136

2) Professor in Basel

3) Ein französischer Flüchtling