Brief an Viret, Genf, 17. Dezember 1547

Calvin, Jean

Unsere Gegner sind so verblendet, dass sie keine Rücksicht mehr darauf nehmen, was anständig ist. Der gestrige Tag bestätigte die Vermutung, die wir schon lange hatten, dass sie nämlich einen Aufstand planten. Der Rat der Zweihundert war einberufen. Ich hatte mit meinen Amtsbrüdern am Tag vorher verabredet, dass ich aufs Rathaus kommen wollte. Wir fanden uns schon vor der Zeit ein, und weil schon viele in der Vorhalle auf und ab gingen, traten wir vor die Tür des Rathauses. Von dort ließ sich lautes, verworrenes Geschrei vernehmen. Und im nächsten Augenblick wuchs es derartig an, dass wir deutlich merkten, ein Aufruhr sei im Gange. Ich laufe sofort hin: mir bietet sich dein schrecklicher Anblick. Ich stürze mich in den Haufen, wo er am dichtesten ist. Obwohl sie fast alle vor Schrecken starr sind, laufen sie doch um mich zusammen und zerren mich hierhin und dorthin, damit ich nicht Schaden nehmen soll. Ich beteure bei Gott und den Menschen: gerade darum sei ich gekommen, um meinen Leib den Schwertern darzubieten. Ich bitte sie, mit mir anzufangen, wenn sie Blut vergießen wollen. Da ließ die Erbitterung gleich erheblich nach, bei den Feinden wie besonders bei den Gutgesinnten. Schließlich wurde ich in den Senatssaal geschleppt. Hier ging der Kampf noch einmal los, und ich legte mich wieder ins Mittel. Alle sind der Meinung, es sei durch mein Dazwischentreten großes, schreckliches Blutvergießen verhütet worden. Meine Amtsbrüder waren inzwischen in der Menge verschwunden. Schließlich setzte ich es durch, dass sich alle in Ruhe setzten. Ich hielt dann, der Lage entsprechend, eine lange, heftige Rede. Man sagt, sie habe alle mächtig getroffen mit Ausnahme weniger. Auch diese aber, wie die Gutgesinnten, haben erkannt, was ich getan habe. Das Vorrecht hat Gott mich und meine Amtsbrüder immer noch zu unserem Schutze genießen lassen, dass auch die Verworfensten einen Vatermord nicht ängstlicher scheuen als die geringste Verletzung unserer Person. Doch ist die Verruchtheit schon so weit fortgeschritten, dass ich kaum noch hoffe, irgendeine Ordnung der Kirche könne weiter aufrechterhalten werden, wenn ich im Amte bleibe. Ich bin ein gebrochener Mann, glaube es mir, wenn mir nicht Gott die Hand reicht.