Brief an Zurkinden, Genf, 21. Februar 1556

Calvin, Jean

Wie schwer ich daran getragen habe, als ich glaubte, an einer Erneuerung des Burgrechts verzweifeln zu müssen, das brauche ich nicht zu sagen. Zwar behaupten hier viele, um Stimmung gegen mich zu machen, sie seien vom Gegenteil überzeugt. Aber jeder, der sich die Mühe macht, hinzusehen, wie ernstlich mein Streben dahin ging, die Verbindung zwischen den beiden Städten aufrechtzuerhalten, der wird, mag er noch so voreingenommen sein, anerkennen müssen, dass ich nichts so gefürchtet habe wie eine Hartnäckigkeit unsererseits und die Schwierigkeiten, die daraus hätten entstehen können. Anfangs, als über die Bedingungen verhandelt wurde, zog mich der Rat zur Besprechung hinzu. Du fragst, warum ich mich in solche Geschäfte mische, die mich nichts angehen und mich nur bei vielen verhasst machen? Nun, ich fasse diese politischen Dinge gewiss selten an und komme höchst ungern mit ihnen in Berührung. Aber ebenso muss ich es bisweilen ertragen, in sie hineingezogen zu werden, wenn es die Notwendigkeit so gebieterisch erfordert. Sicherlich habe ich bisher eine Zurückhaltung geübt, die mich nicht zu gereuen braucht. Du weißt, was die Böswilligen schwatzen. Aber nach der obersten Leitung, nach der ich angeblich mit Begier trachte, verlangt mich wirklich nicht. Ja, ich bin wie ein Fremder in der Stadt. Denn täglich höre ich Leute aus dem Volk Dinge erörtern, die mir gänzlich unbekannt sind. Der Rat ruft mich aber immer nur dann, wenn er in wichtigen Dingen Rat bedarf und nicht weiter weiß, sonst nie, entweder weil er einsieht, es sei unpassend, oder weil er nicht gerne fremde Hilfe erbittet, oder weil er meine Abneigung gegen diese Dinge spürt. Hätte ich doch immer bitten dürfen, von mir abzusehen! Aber als ich vor fünfzehn Jahren nach Genf zurückkehrte, als Gottes Hand selbst mich hierher wies, die Menschen mich mit Ungestüm zurückverlangten und es keinen anständigen Vorwand gab, um abzulehnen, da entschloss ich mich, lieber alle Mühe aufzuwenden, um die Zwistigkeiten beizulegen, als ihnen müßig zuzusehen. Und – um von Zurückliegendem zu schweigen – wie hätte wohl wenn nicht einer die erste Erregung gedämpft hätte, dieser neue Handel begonnen? So dumm sind die Genfer nicht, dass sie nicht gemerkt hätten, wie beschwerlich für sie viele Kapitel waren. Daher neigten alle Gemüter dazu, neue Entwürfe zu verlangen. Das sie schließlich friedlich den alten zugrunde gelegt haben, das hat in langen, harten Kämpfen ein Mann durchgesetzt, der, um seine Meinung befragt, nicht durch sein Schweigen die Stadt verderben wollte. Ich, der ich dabei war, wundere mich, dass das erreicht worden ist. Denn je kühner einer redet – mag er auch noch so sehr zu unserem Schaden Unsinn anraten – desto leichter macht er auf die Unerfahrenen Eindruck und begeistert sie; denn er erscheint ihnen beherzter als die anderen für das Staatswohl einzutreten. So musste mancher Brand gelöscht werden, damit eine so ruhige und gemäßigte Antwort bei euch einlaufen konnte