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Zusammenfassung

  1. gemäss dem Apostel Paulus tat das Gesetz Mose für die Juden das, was das Naturgesetz (d.h. ihr Gewissen) für die Heiden tat
  2. Definition des Naturgesetzes: „Der Zweck des natürlichen Gesetzes (lex naturalis) ist also der, daß der Mensch un­entschuldbar werde. Deshalb wird es (das natürliche Gesetz) auch nicht übel beschrie­ben, wenn man sagt, es sei die Erkenntnis des Gewissens, das zwischen Gerecht und Ungerecht ausreichend klar unterscheidet; es hat also danach die Aufgabe, dem Men­schen jeden Vorwand der Unkenntnis zu nehmen, da er ja durch sein eigenes Zeugnis überführt wird“
  3. Platon’s irrtümliche Meinung, dass die Sünde durch Unwissenheit entsteht, erklärt sich aus der menschlichen Genusssucht: wenn der Mensch eine böse Tat begeht, dann versucht er, soweit es möglich ist, Schuldgefühl von sich zu weisen

Text

Es bleibt uns noch das dritte Stück zu behandeln, das die Erkenntnis der Richtschnur rechter Lebensführung betrifft, die wir nicht unrichtig auch die „Kennt­nis der Gerechtigkeit der Werke“ nennen. Hier scheint nun der Menschengeist ein wenig erkenntnisfähiger zu sein als in den beiden anderen Stücken. Denn der Apostel bezeugt: „Die Heiden, die das Gesetz nicht haben, tun aber des Gesetzes Werke, sind … sich selbst ein Gesetz und zeigen, daß des Gesetzes Werk ihnen ins Herz geschrie­ben ist, sintemal ihr Gewissen ihnen zeuget, dazu auch die Gedanken, die sich vor dem Gericht Gottes untereinander verklagen oder entschuldigen“ (Röm. 2,14.15; nicht ganz Luthertext). Wenn also den Heiden von Natur die Gerechtigkeit des Gesetzes ins Herz eingemeißelt ist, so können wir gewiß nicht sagen, sie seien in der Lebens­gestaltung völlig blind. So ist es auch zu der außerordentlich verbreiteten Auf­fassung gekommen, durch das „natürliche Gesetz“ (lex naturalis), das der Apostel hier meint, sei der Mensch in ausreichendem Maß gerüstet, den rechten Weg zu finden. Wir wollen dagegen erwägen, wozu eigentlich dem Menschen diese Gesetzeserkenntnis innewohnt; und dann wird sich gleich deutlich zeigen, wieweit uns ihre Führung dem Ziel der Vernunft und Wahrheit nahebringt. Das wird auch aus den Worten des Paulus klar, wenn wir nur auf den Zusammenhang achten. Kurz vorher setzt er auseinander: die unter dem Gesetz gesündigt haben, die werden durch das Gesetz ge­richtet; die aber ohne Gesetz gesündigt haben, die gehen ohne Gesetz verloren. Nun konnte es aber widersinnig erscheinen, daß die Heiden ohne alles vorausgehende Urteil verlorengehen sollten; deshalb setzt er gleich hinzu, bei ihnen habe das Gewissen die Wirkung des Gesetzes, und es genüge deswegen zu ihrer gerechten Verdammnis. Der Zweck des natürlichen Gesetzes (lex naturalis) ist also der, daß der Mensch un­entschuldbar werde. Deshalb wird es (das natürliche Gesetz) auch nicht übel beschrie­ben, wenn man sagt, es sei die Erkenntnis des Gewissens, das zwischen Gerecht und Ungerecht ausreichend klar unterscheidet; es hat also danach die Aufgabe, dem Men­schen jeden Vorwand der Unkenntnis zu nehmen, da er ja durch sein eigenes Zeugnis überführt wird! Darin aber besteht die Nachsicht des Menschen gegen sich selber, daß er zwar das Böse tut, aber doch seine Gedanken, soweit er kann, von der Erkenntnis der Sünde abbringt. Das scheint der Grund gewesen zu sein, der Platon zu der Meinung veranlaßt hat, der Mensch sündige nur in Unkenntnis (Protagoras). Das wäre ein richtiges Urteil, wenn die menschliche Heuchelei mit ihrer Verschleierung der Sünde wirklich erreichte, daß im Menschenherzen jedes Bewußtsein, vor Gott böse zu sein, verschwände. Aber mag der Sünder auch vor dem ihm eingedrückten Urteil über Gut und Böse fliehen — er muß immer wieder zu ihm zurückkehren, und es wird ihm nicht ermöglicht, darüber gänzlich hinwegzusehen, sondern er muß, ob er will oder nicht, einmal die Augen auftun! Deshalb ist es verkehrt, zu sagen, er sündige bloß in Unkenntnis.

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