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Zusammenfassung

  1. unsere Vermögen, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, reicht nur dazu, dass wir der Wahrheit nicht fliehen können und wir uns mit Unwissenheit entschuldigen können
  2. unsere Blindheit, einmal erleuchtet durch Gottes Gesetz, wird das Vorbild der vollkommenen Gerechtigkeit aufgezeigt
    1. auf der ersten Gesetzestafel: wie könne wir denken, dass wir nur die geringste Ahnung haben, wie man Gott verehren aus rein menschlicher Vorstellungskraft?
    2. auf der zweiten Gesetzestafel: hier sehen wir schon klarer, denn streben nach der Erhaltung der zivilen Gesellschaft, jedoch nur unvollständig; die Philosophen konnten nur bis zu die äusseren Erscheinungsformen der Laster durchdringen, wobei die inneren Lasten unberührt blieben

Text

Gewiß, wir hörten, daß es im Menschen ein allgemeines Urteil gibt, um Gut und Böse zu unterscheiden. Wir dürfen nun aber nicht wähnen, dies Urteil sei stets ge­sund und ohne Fehler. Denn dem Menschen ist die Unterscheidung zwischen Gerecht und Ungerecht doch nur ins Herz gelegt, daß ihm jede Möglichkeit genommen werde, sich mit Unkenntnis zu entschuldigen. Deshalb ist es aber durchaus nicht erforderlich, daß er in allen einzelnen Fragen die Wahrheit sieht, sondern es ist mehr als genug, wenn sein Verstand so weit reicht, daß ihm jede Ausflucht unmöglich wird und er, vom Gewissen als Zeugen überführt, schon jetzt anfängt, vor Gottes Richterstuhl zu erschrecken. Wollen wir unsere Vernunft am Gesetz Gottes prüfen, das doch allein das Abbild vollkommener Gerechtigkeit ist, so erfahren wir, in wieviel Stücken sie blind ist! Auf jeden Fall erkennt sie keineswegs die Hauptstücke der ersten Tafel, wie etwa: daß man Gott vertrauen soll, ihm das Lob für alle Kraft und Gerechtig­keit zollen, seinen Namen anrufen und den Sabbattag recht heiligen soll. Welche Seele hat denn je vermittelst des natürlichen Empfindens auch nur geahnt, daß in diesen und dergleichen Stücken die rechte Verehrung Gottes besteht? Denn wenn un­fromme Menschen Gott verehren wollen, so kann man sie hundertmal von ihren leeren Phantasien zurückrufen — sie verfallen doch immer wieder darauf! Sie leug­nen zwar, daß Gott Opfer gefielen, ohne daß die Lauterkeit des Herzens dazukäme; damit bezeugen sie, daß sie etwas von der Verehrung Gottes im Geiste ahnen — aber diese verderben sie doch alsbald wieder mit ihren falschen Erdichtungen! Von der Wahrheit dessen, was das Gesetz hierüber sagt, wird man sie nie überzeugen können. Und da soll ich sagen, der Menschengeist besitze ein Erkenntnisvermögen — wo er doch aus sich weder richtig zu denken, noch auf Vermahnungen zu hören ver­mag?

Von den Geboten der zweiten Tafel versteht der Mensch etwas mehr, so­fern sie nämlich in näherer Beziehung zur Erhaltung der menschlichen Gesellschaft stehen. Freilich ist auch hier zuweilen großer Mangel erkennbar. So ist es auch für die erhabensten Geister etwas widersinniges, eine ungerechte und allzu gewalt­tätige Herrschaft zu ertragen, wenn sich günstige Gelegenheit findet, das Joch abzu­schütteln. Das Urteil der menschlichen Vernunft lautet hier: solche Herrschaft geduldig zu tragen, das ist ein Zeichen von feigem Knechtssinn, und anderseits zeigt sich ehrenhafte und edle Gesinnung darin, sie abzuschütteln. Auch gilt es bei den Philosophen nicht als Frevel, wenn einer für geschehenes Unrecht Rache nimmt. Aber der Herr verdammt diese gar zu große Hochgemutheit und gebietet den Seinigen die bei den Menschen verächtliche Geduld. Endlich aber entzieht sich allgemein bei der Betrachtung des ganzen Gesetzes die Verwerfung der bösen Lust unserer Erkenntnis. Denn dazu läßt sich der natürliche Mensch nicht bringen, daß er die mannigfaltigen Gebrechen seiner Begierden erkenne! Ehe er an die Tiefen dieses Ab­grundes gelangt, kommt das Licht der Natur zum verlöschen. Denn die Philosophen bezeichnen zwar die ungeordneten Triebe als Laster, aber sie meinen damit nur die äußerlichen und in groben Wirkungen sich bekundenden. Die bösen innerlichen Gelüste aber, die den Geist fein betören, achten sie für nichts.

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This entry was posted on Dienstag, Januar 10th, 2012 at 01:00 and is filed under Buch 2, Buch 2 Kapitel 02, Institutio. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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