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Zusammenfassung:

  1. Definition: „Die Erbsünde ist die vererbliche Verderbtheit und Verfälschung unserer Natur, die in alle Teile unseres Wesen dringt, welche uns unter Gottes Zorn stellt und die Werke des Fleisches erzeugt.“
  2. Zwei Gedanken dazu:
    1. Wir sind so verstellt und verdorben in allen Teilen unserer Natur, dass wir mit vollem Recht als verurteilt und überführt vor Gott stehen: alle, selbst Kinder, sind schuldig nicht durch Fremdverschuldung, sondern durch ihre eigene Schuld
    2. diese Verderbtheit wird nie in uns aufhören, sondern fortwährend ihre Früchte bringen
      1. dies ist nicht nur der blosse Verlust unserer ursprünglichen Gerechtigkeit, sondern die Gegenwart einer aktiven Macht und Wille zum Bösen
      2. es ist nicht nur Begierde unserer seits, der ganze Mensch ist verdorben

Text:

Aber es soll hier nicht von einer undeutlichen und unbekannten Sache geredet werden, und deshalb wollen wir die Erbsünde beschreiben. Dabei habe ich jedoch nicht die Absicht, die einzelnen Beschreibungen, welche die kirchlichen Schriftsteller unternommen haben, nachzuprüfen. Ich werde nur eine einzige herausgreifen, die mir der Wahrheit am meisten zu entsprechen scheint. Es erscheint da nämlich die Erbsünde als die erbliche Zerrüttung und Verderbnis unserer Natur, die in alle Teile der Seele hineingedrungen ist; diese macht uns zunächst vor Gottes Zorn zu Schuldigen, dann aber bringt sie auch in uns die Werke hervor, die die Schrift „Werke des Fleisches“ nennt (Gal. 5,19). Das ist im eigentlichen Sinne das, was Paulus öfters „Sünde“ nennt. Die Werke indessen, die daraus hervorgehen, wie Ehebruch, Hurerei, Diebstahl, Haß, Mord, Völlerei nennt er dementsprechend „Früchte“ der Sünde; freilich werden sie weithin in der Schrift und so auch von Paulus selbst „Sünden“ genannt.

Dies beides ist also genau zu beachten: (1) Wir sind in allen Stücken unserer Na­tur dermaßen verderbt und verkehrt, daß wir allein wegen dieser Verderbnis vor Gott mit Recht als Verdammte und Verworfene dastehen; denn ihm ist ja nichts wohlgefällig als Gerechtigkeit, Unschuld und Reinheit. Aber das ist nun keine Verflochtenheit in fremdes Vergehen. Denn wenn es heißt, daß wir durch die Sünde Adams des göttlichen Gerichts schuldig sind, so ist das nicht so zu verstehen, als ob wir etwa unschuldig und ohne Verdienst die Schuld für sein (Adams) Ver­gehen tragen müßten; es ist vielmehr deshalb gesagt, er habe uns in seine Schuld verwickelt, weil wir ja durch seine Übertretung nun alle den Fluch auf uns tragen. Trotzdem ist von ihm her nicht etwa bloß die Strafe auf uns gekommen, sondern die von ihm auf uns übertragene Verderbnis wohnt nun in uns, und diese wird mit Recht bestraft. So sagt Augustinus zwar oft, es handle sich um eine „fremde“ Sünde, um nämlich klarer zu zeigen, daß sie durch Übertragung auf uns kommt. Aber trotzdem behauptet er auch, sie sei eines jeden eigene Sünde. (So unter an­derem in „Von Schuld und Vergebung der Sünden“ III,8). Der Apostel selbst be­zeugt ganz ausdrücklich, der Tod sei darum zu allen durchgedrungen, dieweil sie alle gesündigt haben! (Röm. 5,12). Und das heißt: weil sie alle der Erbsünde verfallen und mit ihren Flecken behaftet sind. So sind denn auch die Kindlein selber, die vom Mutterleibe an ihr Verdammungsurteil mit sich tragen, nicht in fremde, sondern in ihre eigene Sünde verstrickt. Denn obwohl sie die Früchte ihrer Sündhaftigkeit noch nicht hervorgebracht haben, so haben sie doch den Samen in sich, ja ihre ganze Na­tur ist gewissermaßen ein Same der Sünde, so daß sie unvermeidlich Gott verhaßt und abscheulich sein muß. Daraus folgt, daß dies im eigentlichen Sinne vor Gott als Sünde gilt: denn ohne Schuld gäbe es keinen Anklagezustand. (2) Dazu kommt dann das Zweite: Diese Verkehrtheit ist in uns niemals müßig, sondern bringt ohne Aufhören neue Früchte hervor, nämlich jene oben beschriebenen „Werke des Fleisches“ — gleichwie ein Schmelzofen, der einmal angezündet ist, nun Flammen und Funken von sich gibt, oder eine Quelle das Wasser ohne Aufhören aus sich hervorsprudelt. Wer deshalb unter der Erbsünde den Mangel an „Urgerechtigkeit“ (justitia originalis) verstehen will, die wir eigentlich haben sollten, der hat da­mit zwar alles zur Sache Gehörige zusammengefaßt, aber deren Kraft und Wirksamkeit nicht deutlich genug zum Ausdruck gebracht. Denn unsere Natur ist nicht etwa bloß des Guten arm und leer, sondern sie ist fruchtbar und ertragreich im Bösen, so daß sie nie müßig sein kann! Einige haben gesagt, die Erbsünde sei die „Begehrlichkeit“ (concupiscentia). Das ist an sich kein sach­fremdes Wort; nur muß man — was aber von den meisten nicht im mindesten zugegeben wird — noch hinzufügen, es sei eben der ganze Mensch (quicquid in homine est), Verstand und Wille, Seele und Fleisch, von dieser Begehrlichkeit befleckt und erfüllt oder kurzum, der ganze Mensch sei von sich selbst aus nichts anderes als Begehrlichkeit!

Themen:

This entry was posted on Freitag, Dezember 16th, 2011 at 21:48 and is filed under Buch 2, Buch 2 Kapitel 01, Institutio. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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