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Zusammenfassung:

  1. Die wahre Selbsterkenntnis fordert, dass wir  alles Selbstvertrauen in unsere Fähigkeiten von uns legen
  2. die Versuchung, den Menschen für seine Fähigkeiten zu loben
    1. fördert unsere angeborene blinde Selbstliebe
    2. selbst wenn wir Gott einen Teil anerkennen, gibt es dennoch genug Grund für Eigenruhm und Selbstüberschätzung
  3. in allen Zeitepochen war das Lob über die menschlichen Errungenschaften verbreitet, weil es so sehr den Stolz des Menschen anspricht
  4. alle jene, die glauben, durch eigene Kräfte alles zu erreichen, werden früher oder später eines Besseren belehrt

Text:

Das also fordert Gottes Wahrheit als Inhalt unserer Selbstprüfung: sie ver­langt eine solche Erkenntnis von uns, die uns von aller Zuversicht auf eigenes Vermögen fernhält uns jeden Grund zum Selbstruhm nimmt und so zur Demut führt. Diese Richtschnur gilt es festzuhalten, wenn wir zum rechten Maß und Ziel des Denkens und Handelns kommen wollen. Dabei weiß ich sehr wohl, wieviel angenehmer jene Lehre ist, die uns einlädt, unser Gutes zu bedenken, als jene, die uns unsere jämmerliche Armut und Schande betrachten läßt und uns so mit Scham er­füllt. Denn der Menschengeist hat nichts lieber, als wenn man ihm Schmeicheleien vormacht; und wenn er hört, daß seine Fähigkeiten irgendwo hoch gerühmt werden, so neigt er sich gleich mit allzugroßer Leichtgläubigkeit auf jene Seite! Des­halb ist es auch nicht zu verwundern, daß in diesem Stück der größte Teil der Menschheit so verderbenbringend sich verirrt hat. Denn allen Sterblichen ist eine mehr als blinde Selbstliebe eingeboren, und deshalb reden sie sich bereitwilligst ein, sie trügen nichts in sich, das etwa mit Recht zu verwerfen wäre! Und so findet ohne fremden Schutz dieser eitle Wahn immer wieder Glauben, der Mensch sei sich selbst völlig genug, um gut und glücklich zu leben. Gewiß: einige wollen bescheidener ur­teilen und Gott einen Anteil zugestehen, damit sie nicht den Eindruck machen, als ob sie sich alles selbst zuschreiben wollten — aber da teilen sie denn doch so, daß der stärkste Grund zum Rühmen und zum Selbstvertrauen auf ihre eigene Seite zu liegen kommt! Kommt dazu dann noch solch feine Redeweise, welche den sowieso im Menschen mit Mark und Bein verwachsenen Hochmut mit ihren Lockungen kitzelt, so gibt es nichts, was ihm größere Freude machte! Und so ist auch jeder, der die Vorzüge der menschlichen Natur mit seinen Reden kräftig herausgestrichen hat, zu allen Zeiten mit gewaltigem Beifall aufgenommen worden. Aber wie groß auch jene Hervorhebung der menschlichen Hoheit sein mag, die den Menschen lehrt, sich mit sich selber zufrieden zu geben — sie macht ja nur durch ihre liebliche Gestalt sol­ches Vergnügen, und ihre Vorspiegelungen erreichen nur dies, daß sie die, welche ihr zustimmen, am Ende ganz ins Verderben stürzt. Denn wozu kann es führen, wenn wir in eitlem Selbstvertrauen erwägen, planen, versuchen, ins Werk setzen, was wir für erforderlich halten, wenn uns dabei aber der rechte Verstand ganz und gar abgeht, wir bei den ersten Versuchen bereits rechter Kraft ermangeln — und dennoch selbst­sicher fortschreiten, bis wir in den Untergang hineinrennen? Aber so muß es ja denen gehen, die meinen, sie vermöchten etwas in eigener Kraft! Leiht man jenen Lehrern das Ohr, die uns bloß damit Hinhalten, unser Gutes zu bedenken, so kommt man eben nicht zur Selbsterkenntnis, sondern verfällt in übelste Selbst-Unkenntnis!

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This entry was posted on Dienstag, Dezember 13th, 2011 at 22:13 and is filed under Buch 2, Buch 2 Kapitel 01, Institutio. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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