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 Nun haben wir oben gesagt, die Kräfte der Seele bestünden in „Gemüt“ (Ver­stand, Erkenntnisvermögen) und Herz (Willen). Jetzt wollen wir überlegen, was nun diese beiden ausrichten können. Die Philosophen sind sich nun völlig einig in der Meinung, im Gemüt habe die Vernunft ihren Sitz, und diese leuchte wie eine Fackel allen Entschlüssen voran und lenke den Willen wie eine Königin. Denn die Vernunft sei derart von göttlichem Lichte erfüllt, daß sie am besten zu raten, und von so hervorragender Kraft, daß sie am besten zu befehlen vermöge. Die Sinnlichkeit (sensus) sei dagegen mit Faulheit und Blindheit behaftet, daß sie allezeit am Boden krieche und sich mit groben Dingen abgebe, sich aber niemals zu wahrer Einsicht zu erheben vermöchte. Die Begehrkraft werde, wenn sie tatsächlich der Vernunft Gehorsam leiste und sich nicht etwa von der Sinnlichkeit unterjochen lasse, zum Trachten nach der Tugend geführt, sie gehe dann auf dem rechten Wege und werde in eigentlichen Willen umgebildet. Begebe sie sich indessen in die Knechtschaft der Sinnlichkeit, so werde sie von ihr verderbt und zerrüttet und entarte zur bloßen Lust. Nun haben nach ihrer Meinung jene Seelenkräfte, die ich oben genannt habe, nämlich Verstand, Sinnlich­keit und Begehrkraft oder Wille — ein Begriff, der schon durch häufigere Verwen­dung in Gebrauch gekommen ist —, im Menschen zusammen ihren Sitz. Und so be­haupten sie, das Erkenntnisvermögen sei eben (ohnehin) mit Vernunft begabt, und diese sei die beste Führerin zu gutem und glücklichem Leben; nur müsse das Erkennt­nisvermögen sich in dieser bevorzugten Stellung behaupten und die Kraft wirksam sein lassen, die ihm von Natur angeboren sei. Seine niedrigere Regung, nämlich die sogenannte Sinnlichkeit, die es zu Irrtum und Trugbildern verleite, sei immerhin fähig, durch den Stab der Vernunft gezähmt und allmählich gebändigt zu werden. Den Willen stellen sie nun in die Mitte zwischen Vernunft und Sinnlichkeit, also so, daß er seines Eigenrechts und seiner Freiheit mächtig wäre, um entweder der Vernunft zu gehorchen oder sich der Sinnlichkeit preiszugeben, ganz nach seinem Gutdünken!

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This entry was posted on Montag, Dezember 19th, 2011 at 18:38 and is filed under Buch 2, Buch 2 Kapitel 02, Institutio. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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