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Zusammenfassung:

  1. Wie erlangen wir Selbsterkenntnis?
    1. Unsere rein „menschliche“ oder in der Sprache der Bibel „fleischliche“ Vernunft glaubt, dass der Mensch sich durchaus gut kennen vermag. Daher ist er gut gewappnet gegen alle Untugenden führen und kann ein „gutes und moralisches“ Leben führen.
    2. Wendet man jedoch Gottes Maßstab an , so erscheint der Mensch ohne Selbstvertrauen, getrieben von Depression und Hilflosigkeit
    3. Gott will jedoch, dass wir  über unsere ursprünglichen noblen Zustand nachdenken und dabei uns nach Gottes Reich sehnen
  2. Bei den zwei Teile der menschlichen Selbsterkenntnis muss man beachten,
    1. Für welchen Zweck wir erschaffen wurden – die Nachsinnen über die Verherrlichung Gottes und das ewige Leben (die Natur unserer Pflicht)
    2. Unsere Unvermögen – Verwirrung (das Ausmaß wie wir unsere Pflicht erfüllen können)

Text:

Gewiß: Gottes Wahrheit kommt darin mit der allgemeinen Überzeugung aller Sterblichen überein, dass der zweite Teil der Weisheit in unserer Selbsterkennt­nis bestehe. Aber über die Art dieser Erkenntnis besteht große Meinungsverschieden­heit. Denn der Mensch meint nach dem Urteil des Fleisches, er hätte sich dann gar wohl erforscht, wenn er im Vertrauen auf seinen Verstand und seine Unver­dorbenheit kühn wird, sich dem Dienste der Tugend hingibt, den Lastern den Krieg erklärt und so versucht, mit ganzem Eifer dem Schönen und Ehrbaren nachzustre­ben. Wer sich aber nach dem Richtmaß des göttlichen Urteils betrachtet und prüft, der findet nichts, was seine Seele zu rechtem Selbstvertrauen ermuntern könnte, und je tiefer er sich durchforscht, desto mehr wird er zu Boden geworfen — bis er auf alles Selbstvertrauen ganz verzichtet und bei sich selber nichts mehr finden will, um sein Leben recht zu führen.

Gewiß will Gott nicht, daß wir jenen ursprünglichen Adel vergessen, den er un­serem Vorvater Adam hatte zuteil werden lassen — denn der soll uns ja mit Recht zum Eifer um Gerechtigkeit und Gutsein erwecken. Wir können gar nicht an unseren Ursprung denken oder erwägen, wozu wir erschaffen sind, ohne zugleich zum Ver­langen nach der Unsterblichkeit und zum Trachten nach dem Reiche Gottes gereizt zu werden. Aber solche Rückerinnerung macht uns nicht stolz, sondern wirft vielmehr allen Stolz zu Boden und macht uns demütig. Denn was ist das für ein Ur­sprung? Eben der — aus dem wir herausgefallen sind! Was ist das für ein Ziel un­serer Erschaffung? Eben das, von dem wir nun gänzlich abgewandt sind, so daß wir in tiefer Trauer über unser jämmerliches Los seufzen und in solchem Seufzen nach jener verlorenen Würde uns sehnen! Wenn wir aber sagen, der Mensch vermöge in sich selber nichts anzuschauen, das ihn stolz machen könnte, so ist unsere Meinung: beim Menschen ist nichts, auf das er sich verlassen und das ihn hochmütig machen könnte. Wenn man also so will, so wollen wir die Selbsterkenntnis, die der Mensch haben soll, folgendermaßen einteilen: Erstens soll er bedenken, zu welchem Zweck er erschaffen worden ist und was für nicht geringzuschätzende Gaben ihm zuteil ge­worden sind. Diese Erwägung soll ihn reizen, auf die Verehrung Gottes und das zukünftige Leben bedacht zu sein. Zweitens soll er seine Fähigkeiten, das heißt aber in Wirklichkeit: seinen Mangel an solchen, betrachten. Tut er das, so wird er sozusagen zu Nichts werden und in äußerster Verwirrung dastehen. Die erst­genannte Erwägung hat den Zweck, daß er erkenne, was seine Aufgabe (officium) sei, die zweite, daß er innewerde, was er eigentlich vermöge, um ihr gerecht zu werden. Wir werden über beide nach der durch die Lehrabsicht gebotenen Reihenfolge zu reden haben.

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This entry was posted on Donnerstag, Dezember 15th, 2011 at 21:32 and is filed under Buch 2, Buch 2 Kapitel 01, Institutio. You can follow any responses to this entry through the RSS 2.0 feed. You can leave a response, or trackback from your own site.

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