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Zusammenfassung

  1. Während die Begabungen zur Kunst nicht gleichmässig bei allen Menschen vorhanden ist, so haben doch alle Menschen eine spezielle Begabung: das ist ein Beweis für die fortwährende Fähigkeit (nach dem Sündenfall) der menschlichen Vernunft
  2. Gottes gelegentliche Erlaubnis, dass Menschen mit Behinderungen geboren werden, zeigt umso mehr, wie sehr die Künste ein Geschenk Gottes ist
  3. Der Mensch hat, dementsprechend, seit dem Anfang der Künste, eine angeborene Fähigkeit, etwas kunstvolles zu erschaffen und die überlieferten Kulturerzeugnisse zu verbessern (das ist gegen die platonische Lehre des Erinnerns).

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Nun folgen die freien Künste und das Handwerk. Wir tragen alle eine gewisse Geschicklichkeit dazu in uns, und die Tatsache, daß wir sie zu erlernen vermögen, läßt ebenfalls die Kraft des menschlichen Verstandes ins Licht treten. Gewiß sind nicht alle in der Lage, alles zu lernen; aber es ist doch ein recht deutliches Zeichen der allgemein vorhandenen Kraft, daß fast niemand zu finden ist, dessen Einsicht nicht (wenigstens) in irgendeiner Kunstfertigkeit zu merken wäre! Aber Kraft und Behendigkeit bewähren sich nicht bloß im Lernen, sondern auch im Ausdenken von et­was Neuem in einer Kunst und auch in der Vervollkommnung und Ausbildung dessen, was man von jemand anderem erlernt hat. Diese Beobachtung hat einst den Platon auf den verkehrten Gedanken gebracht, solches Begreifen sei nichts anderes als Erinnerung. Uns zwingt sie aber doch mit gutem Grunde zu dem Geständnis, daß die Anfangsgründe dazu dem Menschengeiste angeboren sind. Diese Erweise be­zeugen klar, daß dem Menschen ein allgemeiner Begriff von Vernunft und Verstand von Natur aus innewohnt. Und dieses Gut ist doch so allgemein vorhanden, daß je­der einzelne darin für sich persönlich eine besondere Gnadengabe Gottes anerkennen muß. Zu dieser Dankbarkeit ermuntert uns der Schöpfer der Natur selbst auf das kräftigste; er schafft nämlich auch Narren, um an ihnen zu zeigen, was für Fähig­keiten eigentlich die Menschenseele auszeichnen, wenn sie nicht von seinem Lichte durchflutet (perfusa) ist — und dies letztere findet von Natur fast in allen Menschen statt, so daß es geradezu für jeden einzelnen ein freies Geschenk seiner Gnade dar­stellt! Nun ist zwar die Erfindung der Künste und die geordnete Unterweisung in ihnen oder auch die ins Innere dringende und weitergreifende Erkenntnis — die nur wenigen eigen ist — nicht etwa ein ausreichender Beweis für allgemeine Erkenntnisfähigkeit. Aber sie kommt doch Frommen und Unfrommen gemeinsam zu und zählt deshalb mit Recht zu den natürlichen Gaben.

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Zusammenfassung

  1. die Tüchtigkeit des Verständnisses unterscheidet sich aufgrund des zu betrachteten Objektes: Unterschied zwischen irdischen und himmlischen „Dingen“
    1. irdische
      1. nicht zu Gott und seinem Reich gehörend, wahre Gerechtigkeit und glückseliges ewiges Leben
      2. jedoch zu dieser jetzigen Welt gehörend
        1. Regierung
        2. Haushaltsbewirtschaftung
        3. mechanische Fertigkeiten
        4. freie Künste
    2. himmlische
      1. reine Erkenntnis Gottes, wahre Gerechtigkeit und die Geheimnisse des himmlischen Königreiches
        1. Wissen über Gott oder über seinen Willen
        2. die Gesetze, durch welche wir unser Leben seinem Willen ausrichten
  2. der angeborene und universelle Charakter der Gesetze dient als Basis für die menschliche Gesellschaft: Gerechtigkeit (epiekeia) ein gewisses Bedürfnis nach politischer Ordnung ist allen Menschen gegeben
  3. die Tatsache, dass die Keime einer politischen Ordnung in allen Menschen vorhanden ist, wird nicht durch die kriminelle oder sonst gesetzlosen Systeme infrage gestellt, die das Gesetz aus purer Lust und nicht aus rationalen Argumente ablehnt: sie disputieren nur um zu zeigen, wie schwach der menschliche Verstand ist

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Jedoch sind die Mühen des Menschengeistes nicht immer so fruchtlos, daß gar nichts dabei herauskommt; besonders wenn er es mehr auf das Niedere absieht. Ja, er ist auch nicht so starr, daß er nicht auch ein weniges von den höheren Dingen begriffe, wenn auch die Beschäftigung damit weniger gründlich geschieht; freilich ist unsere Fälligkeit, die höheren Dinge zu erkennen, doch ungleich geringer. Denn sobald der Mensch einmal über den Bereich dieses irdischen Lebens hinausgeht, wird ihm erst seine Unzulänglichkeit recht bewußt. Um besser erkennen zu können, wie weit der Verstand bei den einzelnen Dingen entsprechend der Kraft seines Erkenntnisver­mögens kommt, müssen wir also zweckmäßig einen Unterschied machen. Und dieser soll darin bestehen, daß wir uns klarmachen: die Erkenntnis der irdischen Dinge ist etwas anderes als die der himmlischen. Unter „irdischen“ Dingen verstehe ich dabei das, was mit Gott, seinem Reiche, der wahren Gerechtigkeit und der Seligkeit des kommenden Lebens nichts zu tun hat, sondern nach seinem Sinn und seinen Beziehungen zum gegenwärtigen Leben gehört und sozusagen innerhalb seiner Gren­zen bleibt. Unter „himmlischen“ Dingen verstehe ich die reine Erkenntnis Gottes, den Weg zu der wahren Gerechtigkeit und die Geheimnisse des Himmelreichs. Zur ersten Gruppe gehören das weltliche Regiment, die Haushaltskunst, alles Handwerk und die freien Künste. Zur zweiten Gruppe rechne ich die Erkenntnis Gottes und sei­nes Willens und die Richtschnur, nach der man das Leben gemäß dieser Erkenntnis gestalten kann.

Von der ersten Gruppe ist folgendes zu sagen: Der Mensch ist ein von Natur auf Gemeinschaft angelegtes Wesen (animal natura sociale) und neigt daher durch natürlichen Trieb dazu, diese Gemeinschaft zu erhalten und zu fördern. Deshalb be­merken wir, daß allgemeine Empfindungen für eine gewisse bürgerliche Ehrbarkeit und Ordnung allen Menschen innewohnen. Daher ist auch kein Mensch zu finden, der nicht verstünde, daß jede menschliche Gemeinschaft durch Gesetze zusammengehalten werden muß, und der nicht die Grundsätze derartiger Gesetzgebung in seinem Ver­stande trüge. Daher kommt auch jene immerwährende Übereinstimmung aller Völker und auch der einzelnen Sterblichen hinsichtlich der Gesetze; denn die Samenkörner dazu sind in alle Menschen ohne Lehrmeister und Gesetzgeber hineingesät. Ich will mich nicht damit aufhalten, auf den Zwiespalt und Streit einzugehen, der sich bald erhebt, wenn die einen alles menschliche und göttliche Recht umzustürzen, alle Schran­ken des Gesetzes zu zerbrechen und der Begierde allein nach ihrem eigenen Recht freien Lauf zu lassen begehren wie Diebe und Räuber, oder wenn andere, was ein allzu verbreitetes Übel ist, für Unrecht erklären, was andere Leute als Recht festgestellt haben, oder für löblich, was jene verbieten! Denn der Haß solcher Leute gegen die Gesetze hat nicht darin seinen Grund, daß sie etwa nicht wüßten, daß sie gut und heilig sind; sondern sie wüten in wilder Gier, kämpfen gegen die klar erkannte Ver­nunft und verabscheuen in ihrer Lust, was sie mit der Kraft ihres eigenen Ver­standes billigen! Dieser letztgeschilderte Streit ist so geartet, daß er jenes ursprüng­liche Bewußtsein um das Recht nicht auflöst. Im Gegenteil: Wenn die Menschen über einige Stücke der Gesetze im Streit liegen, so besteht doch hinsichtlich des we­sentlichen Bestandes des Rechts Übereinstimmung. Freilich erweist sich dabei die Un­zulänglichkeit des Menschengeistes: auch wo er dem rechten Wege zu folgen scheint, gerät er ins Stolpern und Schwanken! Trotzdem bleibt es bei der Feststellung: allen Menschen ist gewissermaßen ein Same der Ordnung des weltlichen Regiments ins Herz gelegt. Und das ist ein starker Beweis dafür, daß in der Führung dieses (irdischen) Lebens kein Mensch ohne das Licht der Vernunft ist.

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Zusammenfassung

  1. die übernatürlichen Gaben wurden durch die Sünde verloren
    1. dies schliesst Glaube, Liebe zu Gott, Nächstenliebe, Streben nach Heiligkeit und Gerechtigkeit ein
    2. jene wurde in Christus durch die Gnade der Wiedergeburt wiedergewonnen
  2. die natürlichen Gaben (Verstand, Wille) sind nicht verloren, wurden aber durch die Sünde verdorben
    1. wäre dem Menschen der Verstand genommen worden, würde er sich nicht vom Tier unterscheiden
      1. daher sind immer noch Funken des ursprünglichen Verstandes vorhanden
      2. jedoch sind ohne Wirkung, da sie von Unwissenheit überschattet werden
    2. auch der Wille verschwand nicht, sondern wurde von nun für böse Absichten missbraucht und konnte nicht mehr nach dem Guten streben
  3. im folgenden diskutiert Calvin der Zustand der durch die Sünde verdorbenen menschlichen Erkenntnisse
    1. es ist falsch alles menschliche Wissen zu verurteilen, denn es widerspricht sowohl der Heiligen Schrift wie auch der täglichen Erfahrung
    2. der menschliche Verstand ist durchaus fähig wahrzunehmen und nach Wahrheit zu streben, doch zeigt er einer verminderten Wirkung in diesem Unterfangen, was Philosophen schon bemerkt haben, jedoch nicht erklären konnten

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Die aus Augustin entlehnte allgemein angenommene Meinung, nach welcher im Menschen die natürlichen Gaben durch die Sünde verderbt, die übernatürlichen Ga­ben dagegen ganz und gar ausgetilgt sind, findet meine Zustimmung. Unter den „übernatürlichen Gaben“ im zweiten Glied des Satzes versteht man dabei das Licht des Glaubens und die Gerechtigkeit, die genügt hätten, um das himmlische Leben und die ewige Seligkeit zu erlangen. Demnach ist also der Mensch zugleich mit der Ent­fernung aus Gottes Reich auch der geistlichen Gaben verlustig gegangen, mit denen er zur Hoffnung auf das ewige Heil ausgerüstet war. Daraus folgt, daß er derart aus dem Reiche Gottes verbannt lebt, daß in ihm alles ausgelöscht ist, was zum seli­gen Leben der Seele gehört — bis er durch die Gnade des Heiligen Geistes wieder­geboren ist und diese Gaben wiedererlangt. Dazu gehören der Glaube, die Liebe zu Gott, die Nächstenliebe und das Trachten nach Heiligkeit und Gerechtigkeit. Das alles verschafft uns Christus wieder; aber es wird eben dadurch als etwas (von außen) Hinzukommendes und nicht zur Natur Gehöriges bezeichnet; und daraus fol­gern wir, daß es (durch den Fall) abgetan ist. Auf der anderen Seite ist zugleich die Gesundheit des „Gemüts“ (Verstandes) und die Aufrichtigkeit des Her­zens (Willens) in Verlust geraten, und das ist die „Verderbnis“ der natürlichen Ga­ben. Denn es bleibt zwar ein Rest (residuum) Verstand und Urteilskraft (iudicium) samt dem Willen bestehen; aber wir können doch nicht sagen, das Gemüt (der Ver­stand) sei unversehrt und gesund, denn es ist schwächlich und mit viel Finsternis um­hüllt; außerdem ist die Verkehrtheit des Willens mehr als genugsam bekannt.

Da also die Vernunft, mit der der Mensch zwischen Gut und Böse unterschei­det, versteht und urteilt, eine natürliche Gabe ist, so konnte sie nicht ganz und gar zerstört werden, sondern sie ist teils geschwächt, teils verderbt, so daß also (nur) noch ungestaltige Bruchstücke (deformes ruinae) sichtbar sind. In diesem Sinne sagt Johannes: „Das Licht scheint in der Finsternis, und die Finsternis hat’s nicht be­griffen“ (Joh. 1,5). In diesem Spruch wird beides klar zum Ausdruck gebracht: Einerseits wird gezeigt, daß in der verkehrten und entarteten Natur des Menschen immer noch Fünklein glimmen, die zeigen, daß er ein vernünftiges Wesen (rationale animal) ist und sich von den Tieren unterscheidet, weil er ja mit Verstand begabt ist. Aber anderseits wird doch gesagt: dieses Licht wird von der furchtbar dichten Fin­sternis der Unwissenheit derart erstickt, daß es nicht wirksam erstrahlen kann.

So ist auch der Wille nicht verlorengegangen, weil er von der Natur des Menschen nicht zu trennen ist; aber er ist in die Gefangenschaft böser Begierden ge­raten, so daß er nichts Rechtes mehr begehren kann. Damit ist nun zwar eine voll­ständige Beschreibung gegeben; aber es bedarf einer ausführlicheren Entfaltung.

Dabei soll nun der Ordnung nach vorgegangen werden, und zwar entsprechend jener oben gegebenen Einteilung, nach der wir in der Seele des Menschen Verstand und Willen unterschieden haben. Wir müssen demnach also zuerst die Kraft des Verstandes untersuchen.

Es würde nun nicht nur dem Worte Gottes, sondern auch der allgemeinen Er­fahrung (sensus communis experientia) zuwiderlaufen, wenn man den Verstand in der Weise zu dauernder Blindheit verdammt sähe, daß ihm keinerlei Erkenntnis irgendwelcher Dinge verbliebe. Denn wir sehen, daß dem Menschengeist irgendein Verlangen eingepflanzt ist, nach der Wahrheit zu forschen, und solches Trachten nach der Wahrheit wäre unmöglich, wenn er nicht schon zuvor eine Ahnung von ihr hätte. Eine gewisse Erkenntnisfähigkeit des Verstandes liegt also schon darin, daß er von Natur dazu angereizt wird, die Wahrheit zu lieben; daß die Tiere sie nicht kennen, ist ja gerade ein Beweis für ihre rohen und vernunftlosen Sinne. Frei­lich: wie dieses Begehren nach der Wahrheit auch beschaffen sein mag, es versagt doch schon, bevor es eigentlich zur Wirkung kommt; denn es verfällt alsbald in Ei­telkeit. Der Menschengeist kann in seiner Schwachsichtigkeit den rechten Weg zum Suchen nach der Wahrheit nicht innehalten, sondern verliert sich in mancherlei Irrtümer, strauchelt oft, da er wie im Finstern umhertappt, bis er schließlich, müde vom Umherstreifen, zerflattert. So zeigt er gerade über dem Suchen nach der Wahrheit, wie unfähig er ist, sie zu suchen und zu finden.

Auch mit einem zweiten Wahn hat unser Verstand schwer zu kämpfen: er kann oft nicht klar erkennen, welche Gegenstände eigentlich unsere gründliche Erforschung am meisten verdienen. Deshalb quält er sich in lächerlicher Neugierde mit der Durchforschung überflüssiger und nichtiger Dinge und wendet sich anderseits solchen Dingen, die höchst notwendig zu erkennen sind, gar nicht zu oder behandelt sie jeden­falls mit mangelnder Achtung, befaßt sich nur selten mit ihnen, verwendet aber tat­sächlich kaum je wirklichen Eifer darauf. Über diesen Fehler klagen weltliche Schrift­steller sehr oft, und dadurch geben sie zu, daß fast alle Menschen damit behaftet sind. So geht denn auch Salomo in seinem ganzen „Prediger“ dem Sinnen und Trachten nach, in dem sich die Menschen besonders weise vorkommen, und erklärt dann doch, das sei alles „eitel“ und unnütz!

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Zusammenfassung

  1. Chrysostomus und Augustin betonen beide die Demut als fundamentale christliche Tugend
  2. Augustin im Speziellen hebt die völlige Demut hervor, die nicht nur eine blosse Vermeidung des Stolzes und des Arroganz ist

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Allezeit hat mir ein Wort des Chrysostomus gewaltig gefallen: Das Fundament unserer Weisheit sei die Demut (Predigten vom Fortschritt des Evangeliums, III). Noch mehr indessen freute mich ein Ausspruch Augustins: „Da wurde einst ein Redner gefragt, welche Regel bei der Beredsamkeit in erster Linie zu beachten wäre. Er antwortete: ‚Der Vortrag’. Und an zweiter Stelle? Wieder: ‚Der Vortrag’! Und an dritter? Wieder: ‚Der Vortrag’! Ebenso müßte ich, wenn du mich fragtest, was denn bei den Regeln der christlichen Religion das Wichtigste sei, als Erstes und Zweites und Drittes und immerfort nur die Demut nennen!“ (Brief an Dioskur, 118). Dabei versteht er nun aber unter Demut nicht etwa dies, daß ein Mensch im Bewußtsein einiger Tugend sich von Hochmut und Aufgeblasenheit zurückhält, son­dern, wie er an anderer Stelle erklärt, vielmehr die Gewißheit des Menschen, so zu sein, daß er nur in der Demut eine Zuflucht finden kann. So sagt er: „Niemand soll sich schmeicheln; er ist von sich selber ein Satan, das, wodurch er selig wird, hat er allein von Gott. Was hast du nämlich von dir selber anders als Sünde? Nimm dir die Sünde, die dir gehört; denn die Gerechtigkeit ist Gottes Geschenk“ (Auslegung zu Johannes, 49). Oder auch: „Was trotzt man so hoch auf das vermögen der Natur? Sie ist verwundet, krank, zerschunden und verderbt! Es ist ein rechtes Bekenntnis, nicht aber verkehrte Verteidigung vonnöten“ (Natur und Gnade, 66). Ebenso: „Wenn einmal jeder erkennt, daß er in sich selber nichts ist und von sich selbst keine Hilfe empfängt, dann sind in ihm die Waffen zerbrochen, und der Krieg ist geschlichtet. Es ist aber auch wirklich nötig, daß alle Waffen der Gottlosigkeit zerschmettert, zerstoßen und verbrannt werden und du waffenlos übrigbleibst und keine Hilfe in dir selber hast. Je schwächer du in dir selber bist, desto eher nimmt dich der Herr an“ (Zu Psalm 45). So untersagt er uns auch in seiner Erklärung des siebenzigsten Psalms alles Denken an eigene Gerechtigkeit, damit wir Gottes Gerechtigkeit erkennten, und er zeigt, wie uns Gott seine Gnade so groß macht, daß wir wissen: wir sind nichts. Allein durch Gottes Barmherzigkeit gewinnen wir Bestand, während wir von uns selber aus nur böse sind (Zu Psalm 70, I,2). Darum sollen wir hier nicht mit Gott um unser Recht streiten, als ob unserem Heil abginge, was ihm zu­geschrieben wird. Denn wie unsere Niedrigkeit seine Hoheit ist, so findet auch das Bekenntnis unserer Niedrigkeit sein Erbarmen als Arznei bereit. Dabei verlange ich aber nicht, daß sich der Mensch ohne Überzeugung grundlos erniedrige, oder daß er sich von Kräften (facultates), die er besitzt, abwende, um sich so in wahrer Demut zu unterwerfen. Nein, er soll all die Krankheit der Selbstliebe und des Ehrgeizes fahren lassen — denn davon wird er verblendet und denkt so höher von sich, als recht ist — und sich statt dessen in dem truglosen Spiegel der Schrift recht erkennen.

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Zusammenfassung

  1.  unsere Selbsterkenntnis liegt im Bewusstsein unserer eigenen Machtlosigkeit; der geringste Anerkennung einer Entscheidung raubt Gott seiner Ehre und öffnet uns, wie vor uns die ersten Menschen, dem Rat des Bösen
  2. die Heilige Schrift erniedrigt unser Stolz in vielen Stellen mit der Absicht, uns die falsche Selbstsicherheit zu nehmen

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Hier muß ich die Vorrede zu diesem Kapitel noch einmal anführen. Nämlich: ein Mensch ist nur dann zur rechten Selbsterkenntnis durchgedrungen, wenn er durch das Bewußtsein seiner Not, seines Mangels, seiner Blöße und Schande ganz und gar gedemütigt und zu Boden gedrückt ist. Denn es besteht keine Gefahr, daß sich der Mensch dabei zuviel abspreche. Nur muß er erkennen, daß in Gott wiederzuerlangen ist, was ihm fehlt. Aber er kann nicht einmal das geringste über sein Recht hinaus sich anmaßen, ohne sich in eitlem Selbstvertrauen zugrunde zu richten, Gott die Ehre zu rauben, sie sich selber anzueignen und dadurch des furchtbarsten Frevels sich schul­dig zu machen. Und wahrlich: kommt uns einmal diese Gier in den Sinn, etwas für uns selber haben zu wollen, das also in uns selber und nicht in Gott seine Stätte hätte, da sollen wir wissen, daß dieser Gedanke uns von dem gleichen Ratgeber ein­geflüstert ist, der einst unseren ersten Voreltern das Begehren eingab, Gott gleich zu sein und zu wissen, was Gut und Böse sei. Es ist ein Teufelswort, das den Men­schen in sich selber aufbläst — und deshalb sollen wir ihm nicht Raum geben, sofern wir nicht vom Feinde Rat annehmen wollen! Gewiß hören wir gerne, wir besäßen soviel eigene Kraft, daß wir uns auf uns selber verlassen könnten. Aber vor den Lockungen zu solch eitlem Selbstvertrauen schrecken uns viele ernste Schriftworte, die uns streng in unsere Grenzen weisen. So: „Verflucht ist der Mann, der sich auf Menschen verläßt und hält Fleisch für seinen Arm ….“ (Jer. 17,5). Oder: „Gott hat nicht Lust an der Stärke des Rosses, noch Gefallen an des Mannes Schenkeln; er hat aber Wohlgefallen an denen, die ihn fürchten und die auf seine Güte hoffen“ (Ps. 147,10f.). Ferner: „Er gibt den Müden Kraft und Stärke genug den Unvermögenden. Er läßt die Knaben müde und matt werden und die Jünglinge straucheln — die aber auf ihn allein hoffen, die kriegen neue Kraft …“ (Jes. 40,29.31; nicht ganz Luthertext). Diese Stellen haben den Sinn: Wir sollen uns nicht im mindesten auf unseren Wahn von der eigenen Kraft verlassen, wenn wir einen gnädigen Gott haben wollen, denn, „er widerstehet den Hoffärtigen, aber den Demütigen gibt er Gnade“ (Spr. 3,34. Jak. 4,6). Dann sollen uns aber anderseits auch solche Ver­heißungen ins Gedächtnis kommen, wie: „Ich werde Wasser ausgießen über das Dürstende und Ströme über das Dürre“ (Jes. 44,3), oder: „All ihr Durstigen, kommet her zum Wasser“, (Jes. 55,1). Da wird uns bezeugt, daß nur die dazu kommen, an Gottes Segnungen teilzuhaben, die im Bewußtsein ihrer Armut ver­schmachten. Auch dürfen wir nicht solche Stellen übergehen, wie die bei Jesaja: „Die Sonne soll dir des Tages nicht mehr scheinen und der Glanz des Mondes soll dir des Nachts nicht leuchten, sondern der Herr wird dein ewiges Licht sein“ (Jes. 60,19). Gewiß will der Herr seinen Knechten nicht etwa den Glanz der Sonne oder des Mondes nehmen; aber er will unter ihnen allein herrlich erscheinen, und deshalb zieht er ihr Vertrauen auch von dem weit weg, was nach ihrer Meinung das Herr­lichste ist.

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